Zwei Binsenweisheiten über das Mutterland des Fußballs haben sich zum Leidwesen aller Engländer fest in der internationalen Fan- und Experten-Szene etabliert. Und pünktlich zu den großen Turnieren werden sie wieder aus dem Nähkästchen gekramt. Die erste Weisheit ist viel besungen: „England kann kein Elfmeterschießen!“. Aber auch die zweite wird – gerade von den in diesem Bereich stark verwöhnten deutschen Fans – oftmals genüsslich auf der Zunge zergehend hinausposaunt: „England kann kein Torwart!“

Aber stimmt das immer noch? Die jetzige Nummer Eins hört auf den Namen Joe Hart und gilt in England als der größte Torwart seit dem legendären David Seaman. Für manche war er in seinen ersten Jahren – so um anno 2012 - sogar so etwas wie ein Heilsbringer. Eine sichere Bank, jemand, der nicht, wie zum Beispiel auch Seaman mit seinem legendären Patzer im Viertelfinale bei der WM 2002 gegen Brasilien, immer wieder für eine Fliegenfängereinlage gut ist. Nach einer Schwächephase Harts vor der WM 2014 kam man allerdings ganz schnell wieder von der Glorifizierung ab. Zuletzt konnte sich Hart wieder fangen. Der 29-jährige sitzt bei ManCity fest im Sattel und stieß mit seinen Mannen bis ins Champions League-Halbfinale vor. Vor allem gegen starke Gegner läuft Hart auf Hochtouren. Dazu zeigte er auch in der Liga konstante Leistungen. Seine Stärken liegen definitiv auf der Linie. Bei der Ballbehandlung mit dem Fuß sowie im Pass- und Abschlagsspiel fehlt ihm allerdings oftmals die Kreativität und Gedankenschnelle. Sollte Hart seine Nerven im Griff haben, ist er jedoch ein sicherer Rückhalt für die englische Squad.

Ein oft angesprochenes strukturelles Problem der Engländer ist, dass in der Premier League unzählige Legionäre spielen. Das ist auch bei den Torhütern so und somit können sich selten heimische Keeper bei den großen Vereinen beweisen. Bestes Beispiel: „Number Two“ hinter Hart wird Fraser Forster vom FC Southhampton. Auch dank Forster konnte die „Saints“ in diesem Jahr zwar Platz 6 belegen – aber seit seinem Engagement bei Celtic Glasgow von 2010-2012 hat der 28-jährige nicht mehr international gespielt. Nach einer schweren Patellasehnen-Verletzung absolvierte der 2,01 Meter-Hüne immerhin diese Saison noch 17 Spiele. Seine Größe macht sich vor allem beim vereiteln von Großchancen und in der Strafraumbeherrschung positiv bemerkbar. Allerdings ist der in Newcastle ausgebildete Forster bei weitem nicht so ein Leader-Typ wie Hart.

Die Nummer drei bei den Engländern kommt gar aus der zweiten Liga. Tom Heaton darf sich als Aufsteiger allerdings mit seinem Verein FC Burnley in der nächsten Saison bei den Großen in der Premier League tummeln. Am 27. Mai feierte der 30-jährige gegen Australien sein Länderspiel-Debut, wird in Frankreich allerdings nicht über die Rolle als Ergänzungsspieler hinwegkommen.

Insgesamt war das englische Team vor keinem der letzten großen Turniere in so bestechender Verfassung wie vor der EM 2016. Die Leistung in der Qualifikationsgruppe grenzte an Perfektion. Mit der Maximalausbeute von 30 Punkten in zehn Spielen und dem Torverhältnis von 31:3 mauserte sich die von Roy Hodgson trainierte Truppe zu einem der Top-Favoriten. Der 3:2-Sieg im Vorbereitungsspiel gegen Deutschland tat sein Übriges. Damit England nach 1966 allerdings mal wieder im großen Stil jubeln darf, muss sie den Beweis antreten, dass sie auch eine Turniermannschaft sein können. Und dafür müssen unterm Strich zwei Prämissen gegeben sein: England muss (evtl.) Elfmeterschießen können und England muss vor allem Torwart können.