Thomas Schlieck schaut sich für torwart.de die WM aus einem besonderen Blickwinkel an...
"Die Torwartleistungen bei der WM waren auf einem hohen Niveau"
Der Gewinn des Weltmeisterschafttitels ist für den deutschen Fußballs eine großartige Sache. Nicht zuletzt hat das starke Torwartspiel von Manuel Neuer den Ausschlag für den langersehnten Titel gegeben. Im Finale gegen die starken Argentinier gab es eine heftig diskutierte Spielszene als Manuel Neuer gegen Higuain beim Herauslaufen an der Strafraumgrenze zusammengeprallt ist. Dabei musste Neuer die Entscheidung treffen, entweder vom Ball wegzubleiben oder mit vollem Körpereinsatz zum Ball zu gehen. Neuer kam in dieser Szene deutlich vor Higuain an den Ball. Um jedoch an den Ball zu kommen, musste Neuer den vollen Körpereinsatz bringen und trifft Higuain dabei unglücklich am Kopf. Ich denke der Schiedsrichter hat es so gewertet, dass er zuerst am Ball ist und danach kommt der Körperkontakt. Deswegen kein Elfmeter. Es gibt aber sicher auch welche die argumentieren, er nimmt eine Verletzung von Higuain bewusst in Kauf, da er mit maximalem Tempo und Wucht in ihr rein springt. Dann ist es ein Stück weit Auslegungssache des Schiedsrichters, ob man eventuell auch Elfmeter geben kann.
Die Szene entspricht genau der Art und Weise, wie Manuel über das gesamte Turnier hinweg gespielt hat. Nämlich mit extrem hohem Risiko. Ich denke da z.B. auch an die Aktionen im Achtelfinale gegen Algerien. Natürlich sind Aktionen im Raum mit höherem Risiko behaftet als die Torverteidigung auf der Linie. Im dem Moment, in dem man sich entscheidet das Tor zu verlassen, muss man den Ball mit voller Wucht attackieren. Das hat Manuel konsequent durchgezogen. Sein extrem hohes Antizipationsvermögen und die Gabe, das Spiel zu lesen machen ein solches Agieren erst möglich. Ich kann mich in diesem Bereich auch kaum an schwerwiegende Fehler von ihm erinnern. Der Erfolg und die Erfahrung über die Jahre haben ihm zudem immer mehr Selbstsicherheit gegeben. Dieses Selbstvertrauen strahlt er auch nach außen hin aus.
Der Argentinier Romero zeigte im Finale eine insgesamt gute Torwartleistung. Da gibt es eigentlich nichts auszusetzen. Nur wenn man wirklich ins Detail schaut, gibt es beim Gegentor durch Götze Ansatzpunkte, die seine Chancen erhöht hätten. In der Aktion findet er keinen Stand und ist damit auch nicht im Gleichgewicht. Der Körperschwerpunkt liegt etwas zu weit rechts. Dadurch öffnet er das Tor auf seiner linken Seite und das ist genau die Lücke, durch die der Ball ins Tor geht. Eine bessere Körperposition hätte seine Trefferfläche vergrößert und damit wäre Chance größer gewesen, den Ball abzuwehren bzw. angeschossen zu werden. Bei den sonstigen Schüssen stimmte die Position und Balance, weswegen er die Bälle auch hält.
Hypothetisch ist, wie das Turnier für Deutschland verlaufen wäre, wenn Manuel Neuer nicht rechtzeitig von seiner Schulterverletzung wieder fit geworden wäre. Sicherlich hat sein Spiel der Mannschaft vom Start weg geholfen. Viele Situationen hat er geklärt, bevor das Tor überhaupt in direkte Gefahr gekommen ist. Auch in der Zielverteidigung war er da, wenn er gebraucht wurde, z.B. im Spiel gegen Frankreich. Er hat also alle Bereiche des Spiels sehr gut abgedeckt. Es ist wiederum klar geworden, dass die Komplexität der Torwartposition extrem hoch ist. Man muss in allen Teilbereichen Top-Qualität haben, um auf höchstem Niveau spielen zu können. Extreme Schwächen in einem Bereich lassen sich nicht durch Stärken in einem anderen Bereich ausgleichen.
Auch im Torwartbereich ist zu sehen, dass sich in den letzten Jahren durch das DFB Talentförderprogramm und der Arbeit in den Leistungszentren die Qualität der Ausbildung stark erhöht hat. Viele Vereine beschäftigen mittlerweile hauptamtliche Torwarttrainer im Nachwuchsbereich. Das kommt letztendlich den Spielern zugute. Ich kann auch immer wieder feststellen, dass Torhüter bereits im Jugendbereich schon extrem gute Qualitäten haben und in allen Bereichen schon sehr weit sind. Natürlich können sich die jungen Spieler Manuel Neuer als Vorbild oder Leitbild nehmen und einiges von ihm anschauen. Aber jeder Torhüter ist eine eigene Persönlichkeit, die er auch leben und entwickeln sollte. Die Herausarbeitung eines eigenen Stils ist ein wichtiger Entwicklungsschritt.
Abschließend noch ein Rückblick auf das gesamte Turnier aus Torwartsicht: Für mich überraschend war die hohe Qualität der Südamerikaner. Hier ist vor allem Navas, Bravo und Ochoa zu nennen. Wobei die Leistungen von Navas für mich nicht so überraschend sind, da ich seinen Torwarttrainer bei Levante, Luis Llopis, ganz gut kenne und weiß, dass hinter dem Training eine hohe Qualität steckt. Insgesamt schätze ich die Torwartleistungen im Vergleich zu vorigen Turnieren auf überdurchschnittlich gutem Niveau ein. Für Casillas und Akinfejew ist die WM sicherlich nicht gut gelaufen, sie können eigentlich mehr. Die guten Leistungen sind auch damit zu erklären, dass die Wichtigkeit der Position allen immer klarer wird. Dinge, wie das Spiel mit dem Fuß oder das Verteidigen im Raum mit einer hoch stehenden Abwehr rücken verstärkt in den Blickpunkt. Nachdem die WM nun vorbei ist, geht es gleich wieder mit dem Ligaalltag und den anstehenden EM-Qualifikationsspielen weiter. Wir dürfen uns dabei auf tolle Leistungen der Torhüter freuen. Sehr gespannt bin auch, welche der exzellent ausgebildeten jungen Torhüter in naher Zukunft ihren Durchbruch in der Bundesliga und im internationalen Fußball schaffen werden.