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Home > Archiv > 1.2 WM 2014 - Deutschlands 4. Stern > Schliecks-WM-Kolumne > Kolumne III - Nach dem Halbfinale

Thomas Schlieck schaut sich für torwart.de die WM aus einem besonderen Blickwinkel an...

"Neuer ist momentan der kompletteste Torwart weltweit"

Im Fokus steht natürlich das denkwürdige Spiel Deutschland gegen Brasilien. Für ein Halbfinale eines WM-Turniers zwischen zwei großen Fußballnationen war der 7:1-Sieg der deutschen Mannschaft ein sehr außergewöhnliches Spielergebnis. Zu Beginn des Spieles haben die Brasilianer sehr euphorisch nach vorne gespielt. Dann fiel recht frühzeitig das 1:0 für die Deutschen durch Müller. Was dann passiert ist, ist eigentlich nicht zu erklären.

Für Julio Cesar war es natürlich ein sehr bitterer Abend. Der langjährige brasilianische Nationaltorhüter hütete hinter einer desolaten Abwehr und gesamten brasilianischen Mannschaft das Tor des Rekordweltmeisters.

Nichtsdestotrotz wären aus meiner Sicht zumindest zwei Tore zu verhindern gewesen. Beim Distanzschuss von Kroos (3:0) hatte er keine optimale Körperstreckung und konnte den Schuss nicht mehr entscheidend ablenken. Den Schuss von Schürrle zum 7:0 aus spitzen Winkel unter die Latte halte ich für vergleichbar mit dem Ball von Benzema im Spiel Deutschland gegen Frankreich, den Neuer mit einer Hand hält. Mit einer besseren Position und einem Abdruck nach oben wäre dieser Ball möglicherweise haltbar gewesen. Bei allen anderen Toren konnte er nichts machen und wurde von der sträflich Abwehr im Stich gelassen. Allerdings fällt natürlich auf, dass bei den Brasilianern in den letzten Jahren nur sehr wenige absolute Weltklasse-Torleute gespielt haben. Da der brasilianische Fußball sicherlich die Gründe für das Debakel von Belo Horizonte analysieren wird, wird dabei auch das Ausbildungskonzept der brasilianischen Torhüter auf den Prüfstand gestellt werden müssen.

Für mich spielt Manuel Neuer im Vergleich zu allen anderen Torhütern des WM-Turniers auf einem komplett anderen Leistungslevel.  Mit den großartigen Leistungen im Spiel gegen Frankreich und auch gegen Brasilien hat sich dies bestätigt. Gegen Frankreich war er hauptsächlich wieder im Bereich der Torverteidigung gefordert, was er exzellent gemacht hat.

Speziell hervorheben möchte ich die Sachlichkeit, mit der er die verschiedenen Spielsituationen zu lösen wusste. Beispielsweise fällt mir dabei ein Kopfball im Spiel gegen Frankreich ein, den er stehend fängt, nachdem er zwei Schritte gemacht hat, um in die richtige Position zu kommen. Hier würden viele andere Torhüter mit einer Flugeinlage und Übergreifen den Ball übers Tor lenken. Dies sieht zwar für das Publikum schön aus, führt aber wiederum zu einer Ecke und verursacht eventuell eine erneute Torgefahr.

Im Halbfinale kamen die Brasilianer gegen Ende noch zu einigen Torchancen, wo Manuel auch wieder im Bereich der Zielverteidigung sein Können zeigen konnte. Man hat eindeutig gesehen, dass er zu Null spielen wollte, egal wie hoch die Führung  ist. Das sah man auch an der Reaktion beim Gegentor.

Im Vergleich zur WM vor vier Jahren gab es sicherlich nochmals einen Reifeprozess bei Manuel. Die Erfahrungen in den Jahren in München mit einigen gewonnenen Titeln haben ihm in seiner Entwicklung natürlich sehr geholfen. Er ist momentan der kompletteste Torwart weltweit.

Im Viertelfinale der Holländer gab es ja den Torwartwechsel kurz vor dem Elfmeterschießen. Natürlich war diese Aktion vorher abgesprochen unter den Trainern. Grundsätzlich halte ich das für ein legitimes Mittel, wenn man überzeugt ist, dass der andere Torwart für das Elfmeterschießen besser geeignet ist. Krul hat im Vergleich zu Cillessen eine größere Reichweite und wirkt nach außen vielleicht einen Tick präsenter. Diese Vorteile hat er im Elfmeterschießen auch hervorragend eingesetzt. Cillessen ist eher ein etwas ruhigerer Typ, der wenig Fehler macht. Im Halbfinale hat man gesehen, dass er sehr gut und sicher mit dem Fuß ist.

Der argentinische Torwart Sergio Romero nutzt im Halbfinalspiel gegen Holland die Gunst der Stunde. Bei seinem Verein AS Monaco war er in der vergangenen Saison nur die Nummer zwei. Bei einigen Aktionen besonders im Bereich der Raumverteidigung konnte man die eine oder andere Unsicherheiten bei ihm erkennen, welche aus meiner Sicht auch auf die mangelnde Spielpraxis der vergangenen Monate zurück zu führen ist. Aber das Erfolgserlebnis im Elfmeterschießen gegen unsere Nachbarn stärkt auf jeden Fall seine Selbstsicherheit und dieses positive Gefühl wird er jetzt ins Finale mitnehmen wollen.

Abschließend noch ein Ausblick auf das Finale: Die Chancen sind für beide Teams bei 50 zu 50. Es wird auf die Tagesform und auf das notwendige Quentchen Glück ankommen. Der WM-Titel wäre für unser Fußball-Land natürlich überragend und würde der Beliebtheit des Fußballs in Deutschland weiteren Auftrieb geben. Speziell denke ich, dass durch einen Erfolg und durch unseren Torwart Manuel Neuer auch besonders die Torwartsposition bei vielen jungen Spielern von großem Interesse ist. Damit brauchen wir uns um den deutschen Torwartnachwuchs keine Sorgen machen.


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