„Das Leben geht weiter.“
Diese 4 Worte können symbolisch so viel beinhalten: Unterdrückte Trauer, versuchter Trost, Resignation, unterschwellige Hoffnungen. Doch vor allem: Hilflosigkeit.
Wenn man nicht mehr weiter weiß, wenn das Unerklärbare erklärt werden soll, wird gerne auf dieses Aufmunterungs-Mantra zurückgegriffen. Ob nun Sebastian Deisler wehmütig sein Karriereende betrachtet oder Louis van Gaal nach der Niederlage gegen Bordeaux seinen Spielern das vermeintliche Ausscheiden aus der Königsklasse erklärt, „das Leben geht weiter“ war immer vor Ort.
Doch nie besaß dieser Ausspruch eine so tragische Komponente wie nach dem Tode Robert Enkes. Denn diesmal ging es nicht um eine bedeutungslose Niederlage in irgendeinem Wettbewerb, es ging um das verlorene Leben eines Menschen. Nie war die Hilflosigkeit größer, nie der Wunsch nach Begreifen des Unbegreifbaren stärker. „Das Leben geht weiter“ wurde gebetsmühlenartig von jedermann wiederholt, der sich zu diesem Vorfall äußern wollte. Worte, die nun in die Realität umgesetzt werden müssen. Denn Hannover 96, der Verein von Robert Enke, sucht einen neuen Torwart, muss einen neuen Torwart suchen. Nicht aus mangelndem Respekt vor Enke, sondern aus sportlicher Not. Zwar hat man mit Florian Fromlowitz einen guten Mann zwischen den Pfosten, doch fehlt es an einem geeigneten Ersatzmann. Gesucht wird hierbei ein erfahrener, ein fertiger Schlussmann. In den Fokus geraten ist hierbei Sascha Kirschstein, Keeper von Rot Weiss Ahlen. Gerade einmal ein halbes Jahr ist es her, dass Kirschstein bei Ahlen unterschrieb. Und in dieser kurzen Zeit machte er sich, der vom Hamburger SV gekommen war, unersetzlich für die Ahlener. Trotz sportlicher Misere der gesamten Mannschaft wurde Kirschstein in den Ahlener Fan-Foren ausdrücklich gelobt, doch auch Befürchtungen wurden laut, dass der Verein Kirschstein nicht lange wird halten können.
Berechtigt, schließlich hatte Kirschstein nur für ein Jahr unterschrieben, begleitet von der Aussage, sich bei Ahlen nur für höhere Aufgaben empfehlen zu wollen. Überraschend deshalb das Verhalten des Vereins: Gerüchte um Kirschsteins Zukunft wurden hektisch, fast panisch kommentiert: „Sascha ist doch auch unsere Lebensversicherung“, wusste der Ahlener Trainer Christian Hock zu berichten.
Doch RW Ahlen könnte die Ablösesumme, die sich für Kirschstein zwischen 500.000 und einer Million Euro bewegen sollte, gut gebrauchen. Steht Kirschstein also bald in Hannover unter der Latte?
Zwei Punkte sprechen bislang dagegen: Erstens enthüllte die Bild-Zeitung am Montag eine geheime Torwart-Liste von 96-Sportdirektor Jörg Schmadtke. Und auf dieser befindet sich angeblich die halbe 2. Liga: Neben Stefan Wächter von Hansa Rostock scharen sich hier auch noch Gerhard Tremmel von Energie Cottbus und Dennis Eilhoff von Arminia Bielefeld. Nur Sascha Kirschstein ist auf der Liste nicht zu finden. Ein Zeichen oder doch nur wieder haltlose Spekulationen der Bild-Zeitung?
Der zweite Aspekt gegen Kirschstein wäre dessen persönliche Situation vor Ort in Hannover. Florian Fromlowitz besitzt für die 96-Anhänger, gerade auch wegen der tragischen Situation, einen gewissen Kultstatus. Hinzu kommen gute Leistungen, die ihn als Nummer 1 gesetzt erscheinen lassen. Hannover vertraut Fromlowitz, sucht aus diesem Grunde auch nur einen erfahrenen Keeper, unter dessen Obhut, nicht aber in dessen Schatten, Fromlowitz noch reifen soll. Für einen Neuzugang wäre somit nur ein Platz auf der Bank vorgesehen, eigentlich zu wenig für die Ansprüche von Sascha Kirschstein. Zudem wird sich jeder Neuzugang mit dem verstorbenen Enke messen lassen müssen, ein enormer psychischer Druck, dem Kirschstein dort ausgesetzt sein würde. Eine Entscheidung Kirschsteins steht bislang noch aus.
„Das Leben geht weiter.“ Das ist richtig, aber in welche Richtung, ist noch völlig unklar.