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Univ.-Prof. Dr. Martin Lames: "Leistung des Torwart ist am Schlechtesten zu erfassen!"

von T. Schlitzke/M. Schäfer

Professor Martin Lames von der Technischen Universität München beschäftigt sich mit dem Bereich der Trainings- und Wettkampfforschung (insbesondere Sportspielforschung) und hat untersucht, dass in der Bundesliga fast jedes zweite Tor durch Zufall fällt! Welche Rolle dabei Torhüter spielen, erklärt der Wissenschaftler im Gespräch mit torwart.de!

torwart.de: Könnten Sie uns bitte etwas zu Ihrem Forschungsschwerpunkt sagen?

Professor Martin Lames: Unsere beiden Forschungsschwerpunkte sind Talentforschung und Sportspielforschung. Im ersten Bereich interessieren wir uns für die optimale Gestaltung von Talentfördersystemen, im zweiten Bereich bedienen wir ein ganz breites Spektrum, dass von ingenieurswissenschaftlichen Studien zur Genauigkeit von Spielanalyse- und Positionserfassungssystemen über die mathematische Modellierung von Leistungsindikatoren bis hin zu praktischen Trainingsexperimenten, beispielsweise zur Wirksamkeit von Videotaktiktraining oder der Gestaltung der Arbeit von Spielanalysten reicht.

torwart.de: Wie viel Zufall spielt beim Fußball eine Rolle?

Lames: Generell herrscht im Fußball weniger Kontrolle über den Spielgegenstand (Ball) als beispielsweise im Handball oder Basketball. Dort kontrolliert den Ball mit Kontakten durch den Fuß, während er sonst in der Hand fast zu einem Körperteil wird. Auch aus diesem Grund ist eine gängige Taktik im Fußball, dass man die Kontrolle bewusst aufgibt und beispielsweise eine Flanke vor das Tor schlägt, obwohl das Erreichen durch einen Mitspieler nicht sicher ist. Man stelle sich das im Handball vor! Unsere Studie hat eine Reihe von Variablen definiert, die für ein unplanbares oder unkontrollierbares Zustandekommen von Toren stehen. Das Ergebnis ist, dass fast bei der Hälfte aller Tore mindestens eine dieser Variablen beteiligt ist.

torwart.de: Starke Teams können den Zufall mit besseren Spielern beeinflussen?

Lames: Im engeren Sinn nicht, denn ob beispielsweise ein abgefälschter Ball ins Tor oder daneben geht, ist von der Qualität eines Schützen unabhängig. Es gibt jedoch eine Tendenz, dass starke Mannschaften einen leicht geringeren Zufallsanteil bei den erzielten, und einen leicht höheren Zufallsanteil bei den erhaltenen Toren haben.

torwart.de: Welche Merkmale gibt es, wenn es Gegentore gibt?

Lames: Wir definieren eine Zufallsvariable „Torwart“, die dann zutrifft, wenn der Torwart eine deutliche Ballberührung hat. In diesen Fällen liegt es offensichtlich nicht mehr in der Kontrolle der angreifenden Mannschaft, ob der Ball reingeht oder nicht. Bei einer starken Ablenkung des Balles, die wir mit einer Ablenkung seiner Flugbahn um mehr als 45° annehmen, entscheiden minimale Unterschiede in der Torwartbewegung über Tor oder Kein-Tor. Weiter gibt es die Zufallsvariable „Abwehr“, wenn die abwehrende Mannschaft einen Ballkontakt unmittelbar vor dem Tor hatte, beispielsweise ein Eigentor oder ein „Assist“ der Abwehr. Diese sind mit über 20% Beteiligung an allen Toren die häufigste Zufallskategorie.

torwart.de: Wie schaut es speziell beim Elfmeter aus?

Lames: Der Elfmeter ist diejenige Spielsituation, die den geringsten Zufallsanteil aufweist, statt etwa die Hälfte sind es bei Elfmetern nur knapp 10%. Das ist aber auch verständlich, da beim Elfmeter der Schütze einen Plan fasst und relativ ungestört ausführt, was dann in aller Regel bei verwandelten Elfmetern auch gelingt, ohne die „Hilfe“ einer Zufallsvariablen zu beanspruchen.

torwart.de: Kann ein Torwart etwas machen, um eine höhere Wahrscheinlichkeit beim Elfter zu haben?

Lames: Der Torwart kann einen Elfmeter nicht halten, wenn der Schütze hart und torwartfern platziert, siehe Griezman gegen Deutschland. Man muss auf eine schwache Ausführung hoffen, siehe Kroos gegen Frankreich, die einem eine Chance einräumt. Ganz anders sieht es aus, wenn der Schütze den Torwart "ausguckt“. Wenn man diese Taktik antizipiert, kann man beispielsweise Bewegungen antäuschen oder einfach sehr lange stehenbleiben oder sogar nur auf den geschossenen Ball reagieren, da ein weniger harter, unter Umständen auch weniger platzierter Ball so durchaus haltbar sein kann.

torwart.de: Kann man Fehlerwahrscheinlichkeit von Torhütern berechnen?

Lames: Nein, Torwartfehler sind sehr seltene Katastrophen. Sie können immer passieren, sind aber sehr selten, so dass die Berechnung keinen Sinn macht, oder ist eine Aussage wie „Dieser Torhüter macht in 0.021% aller Ballberührungen einen Fehler, jener in 0.022%“ Sinn?

torwart.de: Inwiefern sagt die Aussage wie viel Prozent der Schüsse ins Tor geht etwas über die Qualität des Torwarts aus?

Lames: Diese Zahl sagt wenig über die Qualität eines Torwarts aus, da es immer auf den jeweiligen Schuss ankommt. Die gehaltenen Schüsse müssten immer an ihrer Schwierigkeit relativiert werden, um ein zutreffendes Bild über die Qualität des Torwarts zeichnen zu können.

torwart.de: Gibt es generell statistische Werte, die für die Torwartbewertung spannend sein könnten?

Lames: Generell ist der Torwart diejenige Position, deren Leistung am schlechtesten zu erfassen ist. Statistiken bedienen sich daher oft der „Krücke", schlechte Angriffsleistungen des Gegners dem Torwart zuzuschreiben.

torwart.de: In anderen Sportarten, wie etwa Eishockey, sagt die Haltewahrscheinlichkeit deutlich mehr darüber aus als beim Fußball. Wieso ist das so?

Lames: Ich halte die Statistik der gehaltenen Bälle besonders im Handball für aussagekräftig, da hier die Situationen - im Vergleich zu Fußball - gut standardisiert sind: Es wirft immer ein Gegner auf das Tor, wenn er sich eine Chance zum erfolgreichen Torwurf herausgespielt hat. Darüber hinaus haben wir viele von diesen recht ähnlichen Situationen in einem Handballspiel, was wiederum in einer recht aussagekräftigen Quote mündet.

torwart.de: Wie schaut es bei einem Torwart mit 1 gegen 1 Situation wie bei Neuer gegen Frankreich aus?

Lames: Bei diesen 1 gegen 1 Situationen spielt der Zufall eine große Rolle. Der Torwart führt Abwehrbewegungen aus, die ja nicht auf einer Reaktion auf den Schützen beruhen können, dazu sind Zeit und Entfernung beim klassischen „Zusammenprall“-1 gegen 1 zu gering. Bessere und schlechtere Torhüter in dieser Situation unterscheiden sich dadurch, dass diese Antizipation bei den Besseren im Allgemeinen erfolgreicher ist. Ob die Torwartaktion aber im Einzelfall erfolgreich ist, hängt von vielen, unkontrollierbaren Faktoren ab. So haben wir oft eine Berührung des Balles durch den Torwart, die dann mal zur Abwehr reicht, mal nicht, leichte Dosierungsunterschiede beim Schützen entscheiden, ob der Heber/Schlenzer ins Tor oder drüber/daneben geht.

torwart.de: Wie würden Sie als Wissenschaftler die Leistungsfähigkeit von Fußballtorhütern in Spiel und Training erheben?

Lames: Wir haben zur Einschätzung der Spielerleistung das Verfahren der „Qualitativen Spielanalyse“ entwickelt, bzw. beschrieben. Man schneidet sich sämtliche Aktionen des Torwarts raus, versieht die Szenen mit Variablen, beispielsweise variable Situation: 1 gegen 1, hohen Ball abfangen, Schuss parieren, Verhalten im Gedränge, … Dann schaut man sich die Szenen sortiert nach den Situationen an, also alle hohen Bälle hintereinander, und rekonstruiert detailliert das Verhalten: Stellung, Situation, Gegnerverhalten, Technik, ... Dann bewertet auf dieser Basis die einzelnen Leistungskomponenten mit einer einfachen Werte-Skala: sehr gut, gut, mittel, schlecht, sehr schlecht. Zum Schluss zieht man eine Gesamtbilanz, mit der man die Leistung insgesamt bewertet. Dazu muss gesagt werden, dass es eine qualitative Methode ist, weil man nicht anstrebt, eine objektive Maßzahl zu erhalten, sondern eine detaillierte, fußballpraktische Bewertung im Rahmen der subjektiven Anforderungen. So ist es doch für einen Bundesliga-Trainer egal, ob ein Torwart 24,2 Punkte oder 25,1 Punkte auf irgendeiner Skala erzielt, er möchte wissen, ob er auf diesen Mann im nächsten Spiel setzen soll! (Ich bin Fan des FC Augsburg!).

torwart.de: Welche typischen Fehlerbilder der Torhüter in der Bundesliga konnten Sie bisher erkennen?

Lames: Ich kenne mich in dem Bereich der Torwart-Technik und -Taktik nicht gut genug aus, um dazu eine Meinung zu haben. Bei der Gelegenheit kann man darauf hinweisen, dass eine solide Einschätzung einer Spielerleistung für praktische Zwecke nur unter detaillierter Kenntnis des Einzelfalls gemacht werden kann. Rehazustand, Trainingszustand, Form, psychologische Verfassung usw. Da sollte niemand eine Ferndiagnose wagen!Bi

torwart.de: Yann Sommer und Manuel Neuer haben gemeinsam, dass sie Torhüter in der Fußballbundesliga sind. Allerdings sind sie sehr unterschiedliche Torwarttypen, die mit unterschiedlichen Strategien ihr Torwartspiel betreiben. Welche Unterscheidung in den Torwarttypen macht für Sie Sinn?

Lames: Es gehört zur Beschreibung von Spielerpositionen, dass man Profile aufstellt, die aus den Verhaltenstendenzen in gewissen Bereichen bestehen, z.B. Aufrücken bei eigenem Angriff, Mitspielen im Aufbau, Sicherheit vor Ballkontrolle bei Paraden. Es macht durchaus Sinn, solche Torwarttypen zu unterscheiden und ggf. bei einem Transfer zu überlegen, welches Profil am besten zur Mannschaft passt.

torwart.de: Vielen Dank!

Lames: Bitte sehr!



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