Der JFV Nordwest sorgt für ein Novum in Deutschland. JFV, wie? Ja! Der Verein spielt aktuell in der Junioren-Bundesliga-Nord und hat dort ein einzigartiges Modell. Der Verein rotiert auf der Torwartposition mit drei Torhütern. Warum das so ist, erklärt Christian-Gabriel Gropius, der Torwarttrainer des Vereins.
torwart.de: Kommen wir zu Dir: Kannst Du etwas zu Deinem Hintergrund erzählen?
Christian-Gabriel Gropius: Ich bin 25 Jahre alt und studiere Biologie und Physik auf Gymnasiallehramt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Momentan schreibe ich meine Masterarbeit. Aus sportlicher Sicht bin ich derzeit Co- und TW-Trainer der U19 vom JFV Nordwest. Zusätzlich bin ich für die Ausbildung der U15-Torhüter zuständig. Auch die Torhüter der U11 – U14 vom VfB Oldenburg betreue ich einmal in der Woche, um sie auf den Leistungsbereich beim JFV vorzubereiten.
Diese Funktionen übernehme ich seit Gründung des Vereins 2013. In der Saison 2014/15 war ich zusätzlich TW-Trainer des VfB Oldenburg in der Regionalliga Nord.
In meiner aktiven Zeit als Torhüter habe ich in der Jugend bis zur U17 beim 1.FC Magdeburg gespielt. Anschließend habe ich 2 Jahre bei Hannover 96 in der U17 und U19 Bundesliga gespielt. Danach bin ich zurück zum 1.FC Magdeburg gewechselt. Nach meinem Abitur bin ich nach Oldenburg gekommen und habe hier, während meines Engagements als Torwarttrainer der 1. Mannschaft des VfB Oldenburg, noch einmal aushilfsweise 7 Regionalligaspiele als Torhüter bestritten. Aktuell bin ich zusätzlich als Stürmer in der U23 des VfB Oldenburg aktiv.
torwart.de: Was bedeutet das "Abenteuer" Bundesliga für den Verein Nordwest?
Gropius: Für unseren Verein ist es natürlich eine Ehre in dieser Liga mitzuspielen. Das Niveau, auf dem wir uns Woche für Woche messen, ist das höchste, welches es im Jugendfußball gibt. Sicherlich sind wir von der Infrastruktur z.B. bezüglich Trainingsbedingungen bei Weitem nicht so aufgestellt wie andere Vereine in der Liga. Dennoch haben wir in viele Spielen gezeigt, dass wir vor allem durch unsere mannschaftliche Geschlossenheit mithalten können. Wir haben aktuell 15 Punkte gesammelt. Das ist mehr als jede andere Oldenburger Mannschaft, die je in der U17 bzw. U19 Bundesliga gespielt hat. Aus diesem Grund sind wir stolz auf unsere Leistung und blicken auch bei Abstieg positiv auf die Zukunft des Vereins.
torwart.de: Die Teilnahme an der Bundesliga war eine große Überraschung. Worin liegen die Gründe für den Erfolg?
Gropius: Wir beim JFV Nordwest verfolgen das Ziel unsere Talente auf möglichst höchstem Niveau ausbilden zu können, um sie auf den Herrenbereich vorzubereiten. Wichtige Säulen sind hierbei unsere Stammvereine VfB Oldenburg (Regionalliga) und VfL Oldenburg (Oberliga), an die wir jede Saison einige Spieler aus unserer U19 übergeben können. Der Erfolg liegt demzufolge an der engen Zusammenarbeit innerhalb des Vereins bzw. mit unseren Stammvereinen. Durch eine gute Ausbildung im unteren Bereich (U11-U14) können wir die Top-Talente beider Stammvereine zur U15 zusammenholen und anschließend über 5 Jahre weiterentwickeln. Dieses Konzept ermöglicht es, die besten Spieler der Umgebung langfristig zu betreuen und ihnen die Möglichkeit zu geben auf Leistungsebene zu trainieren.
torwart.de: Aktuell aber seid Ihr nur letzter der Tabelle. Worin siehst Du die größten Leistungsunterschiede?
Gropius: Die größten Unterschiede liegen meiner Meinung nach in der Infrastruktur (Budget, Trainingsmaterialien, Rasenplätze, hauptamtlich angestellt ...) und am Einzugsgebiet der anderen Vereine. Es ist als Ausbildungsverein sehr schwierig seine Top-Talente zu halten und nicht an Vereine wie Werder Bremen oder VfL Osnabrück zu verlieren. Diese Vereine können den Jungs einfach andere Perspektiven geben als wir. Dort haben sie die Möglichkeit mehrmals am Tag zu trainieren und an Eliteschulen des Sports unterrichtet zu werden. Zudem spielen diese Vereine mit ihren ersten Mannschaften im Profi-Fußball. All das können wir den Spielern hier nicht bieten. Was wir bieten können, ist eine gute fußballerische Ausbildung und die Perspektive Regionalliga bzw. Oberliga Herren.
torwart.de: In Deutschland hast Du ein einmaliges Modell, dass Du 3 Torhüter abwechselnd spielen lässt. Wie kam es dazu?
Gropius: Wir sind in diese Saison mit vier Torhütern (wovon einer mittlerweile im Herrenbereich des VfL Oldenburg spielt) unterschiedlichen Alters gegangen. Alle vier sind annähernd auf einem Niveau. Mir war vor der Saison bewusst, dass alle vier die Möglichkeit bekommen müssen Einsatzzeiten zu erhalten. Durch Verletzungen wurde mir diese Entscheidung einige Male abgenommen. Schlussendlich bekam jeder Torhüter ungefähr gleiche Spielanteile. Alle haben konstant gute bis sehr gute Leistungen gezeigt. Jeder hatte es jederzeit verdient, zu spielen. Sie sind aber auch sehr kollegial untereinander. Jeder gönnt dem anderen Einsätze. Ich fordere dieses Verhalten auch strikt ein. Ich forme Torwartteams die auch wie ein Team auftreten. Sie sollen sich respektieren und gleichzeitig einen gesunden Konkurrenzkampf leben. Sie müssen verstehen, dass nur zusammen jeder seine Top Leistung abrufen kann. Sie müssen sich beispielsweise gegenseitig korrigieren können, ohne dass sich der Korrigierte angegriffen fühlt. So entstehen offene und anregende Diskussionen, um Techniken und Taktiken, die sehr förderlich sind.
torwart.de: War das Deine alleinige Entscheidung?
Gropius: Unser Cheftrainer Lasse Otremba ist sich glücklicherweise über die Expertenrolle eines Torwarttrainers bewusst, überlässt mir diese Entscheidungen, sucht jedoch auch immer den Austausch bezüglich seiner Eindrücke.
Infos zu Christian-Gabriel Gropius:
- Nationalität: Deutschland
- Verein:JFV Nordwest
- Position: Torwarttrainer
- Größe (cm): 185cm
- Besonderes: Ist als Stürmer in der U23 des VfB Oldenburg aktiv
torwart.de: Wie haben es die Jungs untereinander aufgenommen und gibt es dabei nicht etwa Probleme für die Abwehr, die sich immer neu darauf einstellen muss?
Gropius: Für die Jungs war das wie oben erwähnt kein Problem. Natürlich will jeder spielen, jedoch sind diese Entscheidungen fundiert und immer klar zu kommunizieren. Für die Abwehr spielt es keine Rolle, wer im Tor steht solange die Torhüter ihre Leistung bringen. Alle sind auf einem Niveau und daher gab es dort wenig Schwierigkeiten.
torwart.de: Siehst Du das auch als ein Modell für andere Vereine außerhalb des Jugendfußballes, Rotationen im Tor?
Gropius: Ich sehe dieses Modell vor allem für den Jugendbereich anwendbar. Es muss jedoch so sein, dass das Leistungsprinzip, im oberen Jugendbereich und im Herrenbereich, aufrechterhalten wird. Ich würde keinen Torhüter spielen lassen nur, weil ich ihn nett finde. Es muss immer Leistung dahinterstehen. Wenn ich 2 oder 3 Torhüter auf einem sehr hohen Niveau habe, wieso sollte ich sie dann nicht optimal fördern? Ich versuche immer so gerecht wie möglich zu sein und ausschließlich unter Leistungskriterien zu beurteilen. Im Herrenbereich ist dieses Modell auch funktional, wie unlängst der FC Barcelona (Ter Stegen und Bravo) oder Real Madrid (Casillas und Diego Lopez) bewiesen haben. Ob das die Zukunft im Herrenfußball ist, wage ich dennoch zu bezweifeln. Im Jugendbereich würde ich dieses Modell als eines mit Relevanz für die Zukunft bezeichnen.
torwart.de: Welche Torhütertrainerphilosophie verfolgst Du?
Gropius: Grundsätzlich nimmt, neben der Vermittlung der Grundtechniken, die Arbeit an der mentalen Stärke der Torhüter einen großen Teil des Jobs ein. Durch bestimmte kognitive Übungsformen sind diese Fähigkeiten trainierbar. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Kommunikationsebene, durch viele Gespräche auf und neben dem Platz. Zudem ist es hilfreich durch Konstruktion verschiedenster Drucksituationen die Sinne zu schärfen und die kognitiven Belastungserscheinungen zu erfahren.
Ich achte sehr auf Ehrlichkeit und Transparenz. Meine Torhüter wissen zu jeder Zeit wie ihr Stand ist und an was wir arbeiten müssen. Ich sage bewusst WIR da die Arbeit nur gemeinsam in unserem Torwartteam erfolgen kann.
In der Trainingssteuerung ist es wichtig, möglichst ausgewogen zu arbeiten. Das bedeutet Themenschwerpunkte aufeinander abzustimmen und in einem geregelten Ablauf umzusetzen. Prozentual ist in der letzten Zeit der Anteil an fußballtechnischen Elementen im Torwartspiel stark gestiegen. Daher verwende ich knapp 30% meiner Trainingszeit für diese Elemente. Der Fokus liegt hierbei auf Beidfüßigkeit und Variationsfähigkeit der unterschiedlichen Schusstechniken.
Alle Abläufe, die ich trainiere, sind möglichst spielnah. Ich verzichte beispielsweise zu einem großen Teil auf Zusatzmaterialien wie Hütchen, denn diese sind im Spiel auch nicht vorhanden. Viel eher binde ich alle Torhüter mit ein und gebe ihnen verschiedene Rollen in denen sie, beispielsweise als Stürmer, agieren. Dabei entwickeln die Torhüter, die nicht ausführend sind zusätzlich ihre Schusstechnik, ihre Ballbehandlung und ihr Spielverständnis.
Nach meinem Empfinden gibt es einen Bereich der oft vernachlässigt wird, aber auf alles einen enormen Einfluss hat: Die Gleichgewichtskontrolle. Sie wird zwar nebenbei in vielen Übungen gefördert, jedoch wird meist nicht entsprechend korrigiert. Zudem ist das Bewusstsein und das aktive Erleben dieser Situationen unfassbar wichtig. Aus diesem Grund schaffe ich ungewohnte und skurrile Situation (z.B. skurrile Grundpositionen) aus denen sich die Torhüter befreien müssen, um zum Ball zu agieren. Demnach ist das Vertrauen der Torhüter bedeutsam. Durch meinen biologischen und physikalischen Hintergrund (Master Lehramtsstudent Biologie Physik) kann ich den Torhütern viel über die Funktionsweise ihres Körpers erklären und ihnen dadurch die Relevanz jeder Übung verständlich machen.
torwart.de: Welche Schwerpunkte legst Du im Training und welche Reize setzt du?
Gropius: Schwerpunkte setze ich auf Basis dreier Faktoren:
Eigener Trainingsplanung
Aussagen der Leistung und Auffälligkeiten der vergangenen Spiele und Trainings
Tagesform der Spieler
Ich habe natürlich immer gewisse Top-Themen, die ich in einer bestimmten Saisonphase trainieren möchte, jedoch passe ich mein Training immer an die Form der Torhüter (sowohl physisch als auch psychisch) an. Einen Torhüter, der mitten im Abiturstress ist, belaste ich anders, als einen der ein FSJ macht oder gar nur Fußball spielt. Ich muss sehr genau hinschauen und durch die richtigen Fragen merken, wie es um die Verfassung der Torhüter bestellt ist. Durch jahrelanger Erfahrung und dem Bewusstsein der Bedeutung dieser Faktoren, für die Leistungsfähigkeit, habe ich einen gutes Gespür was das angeht. Ebenfalls von Bedeutung ist die Spielanalyse mit den Torhütern zusammen und das erkennen von Fehlerbildern. Diese Fehlerbilder werden anschließend durch gezieltes Training ausgelöscht und in Lösungsbilder umgewandelt. Dazu ist nicht immer eine Videoanalyse nötig. Es reicht oft, wenn man auf dem Platz die Situation nachstellt und sie erneut durchlebt.
torwart.de: Was sind die größten Schwierigkeiten für Dich? Materialbeschaffung etwa?
Gropius: Ich richte mein Training immer nach den Gegebenheiten aus. Natürlich würde ich gerne mit Stroboskopbrillen und anderen neuen Trainingshilfen arbeiten. Stattdessen muss man kreativ sein. Ich kreiere eigene Trainingshilfen und setze sie ein. Ich denke das ich trotzdem eine ansprechende Variation von Übungen bieten kann. Mein Ziel ist es, dass ich es jedes Training etwas Neues präsentieren kann.
torwart.de: Wie unterimmst Du das Scouting für neue Torhüter? Was muss ein Torhüter mitbringen, damit er zu Eurem Verein passt?
Gropius: Ich scoute die Torhüter schon recht früh, da ich alle Torhüter der Teams von U11-U19 trainiere. Ich sorge dafür das in jedem Jahrgang 1-2 Top-Talente sind und bilde sie nach meinen Vorstellungen aus. Ich achte dabei vor allem auf koordinative und kognitive Fähigkeiten, da diese ausschlaggebend für die Entwicklungsfähigkeit sind. Zudem achte ich auf die fußballerische Ausbildung. Zu guter Letzt sind natürlich die torwarttechnischen Fähigkeiten zu bewerten. Ich habe einen eigenen Scoutingbogen, den ich bei jedem Talent das ich beobachte ausfülle. In diesem Bogen sind alle relevanten Fähigkeiten und Techniken enthalten, die ein Torhüter mitbringen muss. Dieser Bogen ist je nach alter natürlich unterschiedlich zu betrachten. Er bietet jedoch einen gewissen Rahmen, der es mir erlaubt jeden Torhüter zu kategorisieren.
torwart.de: Wie ist die Abstimmung mit dem Cheftrainer bei Dir? Auch zu den Senioren!
Gropius: Wir arbeiten sehr eng zusammen und sind in einem ständigen Austausch. Regelmäßig trainieren unsere Talente aus der U19 bei den Herrenteams unserer Stammvereine mit, um sich empfehlen zu können und ihnen den Übergang zum Herrenbereich zu erleichtern.
torwart.de: Welche Perspektiven kann Dein Verein den Jungen bieten - im Vergleich zu Profivereinen?
Gropius: Wie schon erwähnt haben wir eine enge Verbindung zu unsern in der Regionalliga und Oberliga tätigen Vereinen. Diese Verbindung ist sehr wichtig und bietet unseren Talenten einen sehr guten Einstieg in den Herrenbereich. Bei besonders hochtalentierten Spielern können diese sich bei uns auf sehr hohem Niveau weiterentwickeln und sich für andere Vereine empfehlen. Wir haben viele Jungs, die von Bundesligisten gescoutet werden und dort nach ihrem Wechsel eine zentrale Rolle spielen.
torwart.de: Muss man als junger Spieler um Profi zu werden heutzutage in ein Internat?
Gropius: Das kommt ganz auf den Verein an, in dem man spielt und wo man wohnt. Für Talent unter 16 ist für mich ein Wechsel zu einem Bundesligisten nicht notwendig, wenn man wie bei uns in auf ähnlich hohem Niveau spielen kann. Man darf nicht vergessen, dass es Kinder und Jugendliche sind, die ihr Elternhaus und ihr gewohntes Umfeld benötigen. Ich selber bin mit 16 Jahren in das NLZ nach Hannover gewechselt und hatte anfangs Schwierigkeiten außerhalb meiner gewohnten Umgebung zurecht zu kommen. Dennoch ist diese Erfahrung, für meinen weiteren Lebensweg sehr wichtig gewesen. Es öffnet mir viele Türen und hat mich in meiner Persönlichkeit gestärkt. Frühe Verantwortung ist sehr fördernd für die Persönlichkeitsentwicklung. Trotzdem würde ich die Grenze für Transfers mit großen persönlichen Folgen (mehr als 150 km Entfernung von Elternhaus) bei 16 Jahren setzen.
torwart.de: Gerade Wolfsburg und Leipzig holen sich schon sehr früh Jugendliche. Wie siehst Du diese Entwicklungen?
Gropius: Wie gesagt, gehe ich eher kritisch mit diesen frühen Transfers um. Wenn wir schauen wie viele Talente in einem NLZ aus der U12 in die U19 kommen, befinden wir uns mit Sicherheit in einem einstelligen Prozentbereich. Wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Spieler, die auf der Strecke geblieben sind, ihre Kindheit aufgegeben haben und womöglich ihre schulischen Möglichkeiten nicht ausschöpfen konnten, ist dies sehr ernüchternd. Ich bin der Meinung das, bis zu einem bestimmten Alter, nur regional verpflichtet werden sollte. Ab 16 Jahren sind überregionale Transfers sinnvoll, da vorher über die körperliche Entwicklung, sowie Potentiale, ohnehin keine aussagekräftigen Voraussagen gemacht werden können.
torwart.de: Danke dir.
Gropius: Bitte sehr und gerne!
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